Einblicke
Wenn jedes Datenunternehmen scheinbar ins Visier von KI gerät – unter Finanzinformationsdienstleistern das Signal vom Rauschen trennen.
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Global Equity Observer
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November 18, 2025
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November 18, 2025
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Wenn jedes Datenunternehmen scheinbar ins Visier von KI gerät – unter Finanzinformationsdienstleistern das Signal vom Rauschen trennen. |
In den letzten Monaten haben sich Anleger mit der Frage beschäftigt: Wird Advanced AI, sei es generativ (GenAI) oder agentisch, unter den datenreichen Branchen, die das Fundament unserer moderne Welt bilden, für Disruption sorgen? Von Softwareanbietern über Berater bis hin zu Informationsdienstleistern, Kreditbüros, Börsen und Versicherungsmaklern konnten sich unlängst nur wenige datenreiche Branchen dem pauschalen Abverkauf am Markt entziehen.
Zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Dokuments vollzog sich der Abverkauf von Finanzinformationsunternehmen wie S&P Global, MSCI, Moody’s und LSEG zügig und wahllos, worin zunehmende Bedenken zum Ausdruck kommen, dass Advanced AI die Wettbewerbsvorteile dieser Unternehmen untergraben könnte. In dieser Publikation befassen wir uns ausschließlich mit dieser Branche und unserer Einschätzung der Wettbewerbsvorteile dieser Unternehmen in Anbetracht einer potenziellen Disruption.
Unserer Ansicht nach lassen derart pauschale Marktreaktionen häufig Gelegenheiten entstehen. So bot der Aktienkurs von MSCI zu Beginn des dritten Quartals einen attraktiven Einstiegspunkt in ein Unternehmen, das nach unserer Einschätzung kontinuierlich expandierende Margen und Gewinne bieten kann, angetrieben durch anhaltende Umsatzsteigerungen und einen starken operativen Hebel. Der Instinkt des Marktes nach dem Motto „zuerst handeln, später analysieren“ kann die Komplexität echter und dauerhafter Wettbewerbsvorteile in der Datenwelt übersehen. Als Bottom-up-Investoren in hochwertige Qualitätswerte besteht unsere Aufgabe darin, fallweise zu beurteilen, wo neue Technologien die Grundlagen dauerhafter Geschäftsmodelle zerstören könnten.
Drei Arten der Disruption
Wir finden es hilfreich, die Disruption durch Advanced AI in drei breite Kategorien zu unterteilen. Die erste und schwerwiegendste – wir nennen sie die systemische Disruption – tritt auf, wenn eine neue Technologie es ermöglicht, quasi von einem Tag auf den anderen einen „New Tech“-Konkurrenten zu schaffen, der Marktanteile und Netzwerkeffekte erodiert. Im Bereich Software könnte dies bedeuten, dass ein kleiner, agiler Wettbewerber plötzlich die Kompetenzen eines etablierten Unternehmens mit minimalen Investitionen repliziert. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist Googles Erfolg mit Nano Banana auf Kosten von fortschrittlichen Photoshop-Produkten.
Die zweite wesentliche Disruption krempelt Geschäftsmodelle um, anstatt sie zu eliminieren. Hier sind etablierte Unternehmen möglicherweise gezwungen, ihre Preisstrukturen oder Liefermodelle umzugestalten, um relevant zu bleiben, wie dies etwa bei Softwareunternehmen vor dem Hintergrund des Aufstiegs von Cloud-Diensten der Fall war.
Schließlich gibt es noch eine sekundäre Disruption, bei der Advanced AI einfach die Input-Kosten senkt oder die Produktentwicklung beschleunigt. In diesen Bereich fallen die meisten Finanzdaten- und Analyseunternehmen. GenAI ermöglicht eine kostengünstigere Datenerfassung und Codierung, aber das zugrunde liegende Geschäftsmodell und die Kundennachfrage – nach vertrauenswürdigen, genauen und regulierten Informationen – bleiben größtenteils unverändert. Sofern das betreffende Unternehmen erfolgreich Innovationen vornimmt, könnte Advanced AI eher ein Vorteil als eine Bedrohung sein.
Die eigentlichen Wettbewerbsvorteile: Daten, Ökosysteme und Integration
Wir glauben, dass Finanzinformationsdienste nicht leicht zu replizieren sind. Ihre Wettbewerbsvorteile basieren auf mehreren miteinander verzahnten Verteidigungsmechanismen.
Der erste ist das Eigentum an Daten. Unternehmenseigene Daten oder solche unter Markenschutz –wie die MSCI-Indizes oder die Bonitätsratings von Moody’s – sind im Grunde genommen nicht replizierbar. Während jeder im Prinzip Aktienindizes aufbauen oder sich zur Bonität von Unternehmen äußern kann (was viele bereits versucht haben!), sind es das Vertrauen und die Vertrautheit der Datensätze von Marken wie MSCI und Moody’s, die einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil bilden. Doch selbst das Eigentum an sauberen öffentlichen Daten kann einen differenzierenden Wettbewerbsvorteil bieten. Denn über mehrere Jahrzehnte geschaffene historische und verifizierte Datenpools – mit konsistenten Kennungen und Verknüpfungen – lassen sich infolge der technischen Herausforderungen und der damit verbundenen Kosten nicht so einfach aufbauen.
Der zweite betrifft den Ökosystemeffekt. Ratings und Indizes fungieren als gemeinsame Sprache für die globalen Kapitalmärkte; sie funktionieren, weil auch alle anderen sie verwenden. Sobald sie in regulatorische Rahmenbedingungen, Benchmarks und Anlagemandate fest integriert sind, werden sie Teil der Infrastruktur des Finanzsystems – wie etwa bei S&P Global der Fall.
Drittens führt die Integration in Kundenworkflows zu erheblichen Wechselkosten. Die Plattformen sind als fester Bestandteil des Tagesgeschäfts von Vermögensverwaltern, Händlern und Analysten – über Programmierschnittstellen (APIs), Terminals und Risikosysteme – integriert, wodurch Disruption zu einem kostspieligen und riskanten Unterfangen wird.
Weitere Verteidigungsmechanismen erstrecken sich auf globale Vertriebsnetzwerke, Sicherheit auf Unternehmensniveau, die regulatorischen Prüfungen standhält, und zunehmend reibungslose Benutzeroberflächen (User Interfaces, UI). Während die UI-Innovation für Start-ups leicht zu replizieren ist, sind Integration, Vertrauen und Compliance dies nicht.
„Datenaktivatoren“: Wettbewerbsvorteile, die auf Sprache und Vertrauen aufbauen
S&P Global, Moody’s und MSCI – wir nennen sie „Datenaktivatoren“ – stehen an der Spitze der Wertschöpfungskette im Informationsdienstleistungssektor. Ihre maßgeblichen Marken-Franchises wandeln Rohdaten in umsetzbare Erkenntnisse um und werden vor allem weithin verstanden. Die Bonitätsratings von Moody’s oder der MSCI Index leiten ihren Wert nicht von der Schwierigkeit der Berechnung ab, sondern von ihrem universellen Wiedererkennungswert und ihrer breiten Akzeptanz – ein gutes Beispiel für einen funktionierenden Ökosystemeffekt.
Mehr als 70% der Gewinne dieser Unternehmen stammen aus Bereichen, die unserer Ansicht nach weitgehend von der Disruption durch Advanced AI isoliert sind. Während einige sekundäre Risiken bestehen – etwa die ESG-Datenaggregation von MSCI oder das Finanzdesktop-Angebot von S&P Global – sind diese Risiken unserer Ansicht nach im Gegensatz zur jüngsten Reaktion des Marktes moderat.
Denn diese Unternehmen haben ebenso eine gute Chance, von der Einführung von Advanced AI zu profitieren. Tools, mit denen sich die Produktivität der Analysten steigern, die Bonitätseinstufung beschleunigen oder die Kundenschnittstellen verbessern lassen, haben eher das Potenzial, die Umsätze eines Unternehmen zu steigern und Kosten zu senken, als dessen Margen zu bedrohen. Die Möglichkeit, Modelle auf Basis der umfangreichen proprietären Daten eines Unternehmen zu schulen, ist ein weiterer unterschätzter Vorteil. Wenn S&P oder MSCI Advanced AI in ihre eigene Infrastruktur integrieren, erhöht dies vielmehr die Wettbewerbsschwelle für potenzielle Disruptoren, anstatt sie zu senken.
„Datenaggregatoren“: weniger ausgeprägte, aber durchaus vorhandene Wettbewerbsvorteile
Im Gegensatz dazu agieren Unternehmen wie FactSet oder Teile der London Stock Exchange Group (LSEG) als „Datenaggregatoren“, die Informationen Dritter kuratieren und bereitstellen, anstatt selbst Daten zu besitzen. Ihre Wettbewerbsvorteile fußen nicht auf dem Besitz einzigartiger Markendaten, sondern darauf, wie sie große Datenmengen für ihre Kunden zu strukturieren, validieren und sicher zu integrieren wissen.
Für institutionelle Anleger, die täglich Millionen sensibler Portfoliodaten hochladen, sind Vertrauen und Zuverlässigkeit wichtiger als Neuerungen. Unserer Überzeugung nach ignoriert die Annahme des Marktes, dass KI-Start-ups eine solche Infrastruktur problemlos replizieren werden, die operativen und regulatorischen Einschränkungen im Umgang mit vertraulichen Finanzdaten. Die Kunden haben eine sehr geringe Fehlertoleranz. Nur wenige Risk Officers würden sich wohl dabei fühlen, die Handelspositionen ihres Unternehmens in ein ungetestetes KI-Modell einzuspeisen, das von einem mit Wagniskapital finanzierten Anbieter gehostet wird.
Ferner ist die „Erschließung“ von Live-Marktdaten mittels Glasfaserverbindungen zu Börsen, cloudbasierter Übertragung und Berechtigungssystemen kapitalintensiv und stark reguliert. Auch wenn Advanced AI die Codierungskosten senkt, sehen sich neu am Markt eintretende Unternehmen nach wie vor mit erheblichen Hindernissen konfrontiert, wenn es darum geht, die physische und regulatorische Infrastruktur der bereits etablierten Konkurrenz zu replizieren.
Während die Wettbewerbsvorteile von Datenaggregatoren also flacher sein können als diejenigen von Datenaktivatoren, sind sie bei weitem nicht zu ignorieren. Ihre Stärke liegt in Integration, Vertrieb und Sicherheit – allesamt Attribute, die schwer zu automatisieren und für die Kundenbindung unerlässlich sind.
Advanced AI als Chance, keine existenzielle Bedrohung
Die Ironie des jüngsten breit angelegten Abverkauf besteht darin, dass Advanced AI, anstatt die etablierten Unternehmen zu untergraben, sie letztendlich stärken könnte. Durch die Reduzierung der Kosten für Codierung, Datenbereinigung und Schnittstellendesign ermöglicht Advanced AI schnellere Innovationen und Produktivitätssteigerungen. Für Unternehmen, die bereits über Vertrauen und einen etablierten Vertrieb mit Skaleneffekten verfügen, können diese Tools den Wettbewerbsvorteil vertiefen, anstatt ihn zu unterminieren, und diejenigen mit Preismacht sind in der Lage, hinzugewonnene Erträge zu verteidigen.
Bei Bonitätseinstufungen kann Advanced AI den Analysten dabei helfen, neue Emittenten schneller zu bearbeiten, Markteinführungszeiten zu verkürzen und die Margen zu verbessern. In der Risikoanalyse können derart KI-fähige Schnittstellen die Produkteinführung in den Anlageteams ausweiten. Hierbei handelt es sich um allmähliche, aber bedeutsame Verbesserungen, welche die Position etablierter Unternehmen stärken.
Das Signal vom Rauschen trennen
Die Märkte wissen Nuancen kaum zu bepreisen. Wenn die Angst vor einer Disruption wahllos wird, können Quality-Investoren schnell in die Offensive gehen, anstatt defensiv zu agieren. Selektivität bleibt wichtig: Jedes Geschäftsmodell muss auf seine Resilienz hin geprüft werden, während zugleich die Bewertungen und Positionsgrößen zu berücksichtigen sind. Die umfassende jüngste Abwertung des Finanzinformationssektors erscheint uns indes wie ein Lehrbuchbeispiel dafür, wie der Markt das sprichwörtliche Kind mit dem Bade ausschüttet1.
Wir erachten S&P Global, Moody’s und MSCI weiterhin als einige der widerstandsfähigsten Unternehmen im global Datengeschäft. Unserer Meinung nach zeichnen sie sich durch überragende Wettbewerbsvorteile in Form von proprietären Daten, eingebetteten Ökosystemen, Workflow-Integration und Vertriebspräsenz aus. Die sogenannte „KI-Bedrohung“ kann mit der Zeit zu einem Treiber für erneute Effizienz und Innovation in ihren Unternehmen werden.
Wie immer bleibt unser Ansatz diszipliniert und langfristig ausgerichtet: Uns geht es darum, echte strukturelle Risiken von zyklischen Narrativen zu unterscheiden, uns auf Qualität und die Bewertungen zu konzentrieren und daran zu denken, dass langlebige Wettbewerbsvorteile – insbesondere solche, die auf Vertrauen, Regulierung und Reputation beruhen – die Schlagzeilen überdauern.
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Executive Director
International Equity Team
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