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Stimmrechtsvertretung: Schrittweises Drängen auf Veränderungen
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Global Equity Observer
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August 22, 2022
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August 22, 2022
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Stimmrechtsvertretung: Schrittweises Drängen auf Veränderungen |
Als langfristig orientierte Investoren mit Eigentümermentalität schätzen wir die Rolle, die die Stimmrechtsvertretung bei der Steigerung langfristiger Anlagerenditen spielen kann, und begrüßen, dass Unternehmensvorstände und Geschäftsleitungen diesem Thema immer mehr Aufmerksamkeit schenken. Das bedeutet, dass wir die Stimmrechtsvertretung niemals auslagern.
Schon seit Anfang an, stimmen unsere Portfoliomanager umsichtig, sorgfältig und im besten Interesse unserer Kunden ab – im Einklang mit dem Ziel, die langfristigen Anlagerenditen zu maximieren. Unsere Stimmrechtsvertretung bezieht sich in erster Linie auf Governance-Themen wie Managementanreize und die Ernennung von Vorständen. Bei sozialen und Umweltthemen entscheiden wir auf Einzelfallbasis, wie wir abstimmen, indem wir die Relevanz der im Antrag genannten Probleme und ihre voraussichtlichen Auswirkungen in Betracht ziehen. Wir unterstützen im Allgemeinen Anträge, deren Umsetzung eine sinnvolle Offenlegung oder bessere Praktiken der Geschäftsleitung zufolge hätten.
Die Entwicklung hin zum Multi-Stakeholder-Kapitalismus, strengere Stewardship-Auflagen, die wachsende Anzahl an Unterzeichnern der Prinzipien für verantwortliches Investieren (UN PRI) und größere Zuflüsse in nachhaltige Fonds haben in den letzten 20 Jahren zu beträchtlichen Auswirkungen auf das Abstimmungsverhalten bei gelisteten Unternehmen geführt. Das Harvard Law School Forum on Corporate Governance hält diese größere Aufmerksamkeit in Bezug auf Corporate Governance für revolutionär. Sie hätte zur Folge, dass die Stimmabgabe inzwischen „ein wichtiger Bestandteil des Dialogs zwischen Unternehmen und ihren Aktionären ist... die Stimmrechtsvertretung ist nicht länger nur reine Formsache“.1
Somit gewinnen ESG-Aspekte (Umwelt, Soziales, Governance) und die Transparenz zu aktuellen Themen für Unternehmen und ihre Interessensgruppen immer mehr an Bedeutung. Dem führenden Stimmrechtsvertreter Broadridge zufolge2 sind „die Erwartungen, dass Unternehmen Themen wie Klimawandel und Rassenungerechtigkeit ernst nehmen, höher als je zuvor.“ In den fünf Jahren bis 2021 nahm die Unterstützung für Aktionärsbeschlüsse stetig zu – von 34 Prozent in 2017 auf 40 Prozent in 2021.2 Viele Aktionärsbeschlüsse dümpeln nicht länger vor sich hin; die Initiative „Say on Climate“ des Children’s Investment Fund beispielsweise hat sich erstaunlich schnell durchgesetzt.
Neue Rekorde 2022
Während der Hauptversammlungssaison von 2022 wurden in den USA 924 Aktionärsbeschlüsse eingereicht, ein neuer Rekord, der die hohe Zahl im Vorjahr bei Weitem übertraf.3 Auf der diesjährigen Jahreshauptversammlung eines großen US-amerikanischen Technologieunternehmens beispielsweise wurden beachtliche 17 Aktionärsbeschlüsse eingereicht. Besonders viele Beschlüsse betrafen ESG-Aspekte. Mehrere Beschlüsse zu sozialen Themen erhielten zum ersten Mal beträchtliche Unterstützung, darunter solche zu Rassengerechtigkeit, sexueller Belästigung und geschlechterspezifischen Lohnunterschieden.2 Interessanterweise war die Mehrheitsunterstützung in diesem Jahr zurückhaltender, was insbesondere für Umweltbeschlüsse galt, die als allzu vorschreibend gesehen wurden.4
Weitere Veränderungen stehen bevor. Im Vorfeld neuer Gesetze zur Abstimmung von Indexanlagen, die vom US-Senat im Mai verabschiedet wurden, sorgte ein globales Investmentunternehmen für Schlagzeilen, als es institutionellen Kunden in einigen seiner Indexstrategien die direkte Stimmabgabe anbot. Also haben nicht nur die Anforderungen an Unternehmen zugenommen, auch der Anteil der Stimmen weitet sich über eine kleine Gruppe dominierender Manager passiver Anlagen aus.
Die Hürden aus dem Weg räumen
Trotz dieser wichtigen Entwicklungen in der Branche gibt es weiterhin Hürden, die einer effektiven Stimmabgabe im Weg stehen.
Erstens besteht häufig eine Informationslücke. Die Geschäftsleitung veröffentlicht nicht unbedingt alle Informationen, die für eine informierte Stimmabgabe erforderlich sind. Deshalb sind wir von der Kombination von Einflussnahme und Stimmabgabe so überzeugt. Als fundamentale Manager von konzentrierten Portfolios und beträchtlichem Kundenvermögen ist unser Zugang zu Geschäftsleitungen besser als für andere Anleger. Wir sind gut aufgestellt, um langfristige Beziehungen mit den von uns gehaltenen Unternehmen zu entwickeln, und unsere Portfoliomanager stehen in einem konstruktiven Dialog mit ihnen, der sich oft über Jahre hinweg fortsetzt. Wir haben oft die Gelegenheit, die Agenda der Stimmabgabe schon im Vorfeld der Jahreshauptversammlung mit der Geschäftsleitung zu besprechen.
Auch werden wir häufig zu unserer Meinung zu Vergütungsplänen gefragt. Im Fall eines von uns gehaltenen britisch-niederländischen Konsumgüterunternehmens diskutierten wir beispielsweise die Vorstandsvergütung für längere Zeit und stimmten gegen ihren Vergütungsplan, da die Fortschritte zu gering waren. Wir hatten das Unternehmen dazu angehalten, Ziele zum Gewinn je Aktie zu entfernen, da diese zu einem kurzfristigen Denken, beispielsweise durch fremdfinanzierte Übernahmen, verleiten können, was nicht im besten Interesse der Aktionäre ist. Wir hatten uns ferner nach einer schwächeren Gewinnentwicklung für eine Gehaltssenkung ausgesprochen. Wir begrüßten vor kurzem, dass die Gesamtvergütung in diesem Jahr um 35 Prozent gesenkt, Ziele zum Gewinn je Aktie gestrichen und von uns geforderte ESG-bezogene Anreize eingeführt wurden.
Wir werden auch zu Themen angesprochen, die die Anlagerenditen auf lange Sicht beeinträchtigen können, da Unternehmen zunehmend für ihre externen Effekte aufkommen müssen. Beispielsweise sprachen wir ausführlich mit einem amerikanischen multinationalen Konsumgüterunternehmen über nachhaltige Forstwirtschaft und ihrem Ansatz bei der Herstellung von Papiertaschentüchern und Handtüchern im Vorfeld eines Aktionärsbeschlusses zu diesem Thema. Zwar begrüßten wir die geplanten Verbesserungen des Unternehmens. Unsere Gespräche ermöglichten uns jedoch ein besseres Verständnis der Lage, sodass wir im Einklang mit dem Beschluss stimmten, der eine bessere Offenlegung zur Abholzung verlangte.
Zweitens müssen Beschlüsse sorgfältig geprüft werden, da die genaue Ausdrucksweise sehr wichtig ist. Das gilt insbesondere für Aktionärsbeschlüsse. Beispielsweise forderte ein Aktionärsbeschluss in diesem Jahr einen multinationalen Hersteller von medizinischen Geräten zur Berichterstattung über Antibiotikaresistenz auf. In unserem Gespräch im Vorfeld der Jahreshauptversammlung erfuhren wir, dass das Unternehmen nicht erheblich an der Herstellung oder Nutzung von Antibiotika beteiligt ist, sodass dieser Beschluss in Bezug auf das Unternehmen irrelevant war. Aus diesem Grund stimmten wir gegen den Vorschlag.
Drittens kann eine zerstreute Eigentümerschaft bedeuten, dass die Umsetzung von beschlossenen Änderungen in der Praxis schwierig sein kann. Wir sind ein gut ausgestattetes Team, was unseren Portfoliomanagern eine direkte Einflussnahme und Abstimmung ermöglicht. In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, mit bestimmten Partnern in Zusammenarbeit abzustimmen. So arbeiten wir z. B. derzeit mit FAIRR zusammen, einer führenden kollaborativen NGO, die sich auf ein nachhaltiges Lebensmittelsystem konzentriert.
Wann zeigen Abstimmungen wirklich Wirkung?
Wann ist eine kritische Masse erreicht, die tatsächlich Veränderungen bewirken kann. Generell wird häufig im Einklang mit der Geschäftsleitung abgestimmt. Broadridge5 zufolge lagen die durchschnittlichen Für-Stimmen der Aktionäre für Vorstandsmitglieder 2021 bei 94 Prozent und bei Say-on-Pay-Beschlüssen bei 88 Prozent. Diese Zahlen haben sich seit 2017 kaum verändert. (Im Gegensatz dazu stimmten wir in den vergangenen zwölf Monaten bei unseren globalen Portfolios nur in 59 Prozent der Fälle für die Geschäftsleitung bei Say-on-Pay-Beschlüssen ab, dem unsere ausführliche Analyse mit unserem proprietären Rahmenkonzept Pay X-Ray zugrunde lag.)6 Allerdings muss ein Beschluss nicht unbedingt scheitern, damit eine Kampagne für Gegenstimmen wirksam ist. PricewaterhouseCoopers (PwC) hat festgestellt, dass eine Unterstützung von nur 60 bis 80 Prozent ein klares Signal über die Unzufriedenheit der Aktionäre setzt. Ferner zieht es das Interesse der Medien auf sich und kann dem Ruf eines Vorstandsmitglieds schaden.7 Im letzten Jahr standen zwar mehr Vorstände zur Wahl, gleichzeitig erhielten aber auch mehr Mitglieder nicht die Unterstützung der Mehrheit oder schafften es nicht über die Schwelle von 70 Prozent.2
Fortschritte schrittweise voranbringen
Fitness-Tracker, die den Benutzer daran erinnern, jeden Tag eine bestimmte Anzahl an Schritten zu erreichen, helfen dabei, im Laufe der Zeit fitter zu werden. Das ist das Konzept, dem die Theorie von Thaler und Sunstein (Nudge Theory, 2008) zugrunde liegt. Im Grunde geht es um große und kleine Interventionen, die Menschen dazu anhalten, in ihrem besten langfristigen Interesse zu handeln. Manche Aktionärsbeschlüsse wollen für Aufmerksamkeit sorgen und manche Investoren wünschen sich eine öffentlichere, aktivistische Agenda bei der Stimmabgabe. Das ist nicht unser Stil. Wir glauben, dass systemische Probleme nicht über Nacht behoben werden können. Die Einflussnahme und die Stimmabgabe sind kein Sprint, sondern ein Marathon. Durch den Dialog mit der Geschäftsleitung, der sich auf die wesentlichen Risiken und Chancen in Bezug auf den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg und die Langlebigkeit des Unternehmens konzentriert, hoffen wir, dass es den Unternehmen gelingt, für eine bestimmte Herausforderung, wie die Dekarbonisierung, solide Bausteine zu legen. Wir wollen immer wieder zu Fortschritten im Laufe der Zeit anregen.
Ein Rückblick auf die Abstimmungen unseres Teams 20228
Da die meisten Abstimmungen und Jahreshauptversammlungen im zweiten Quartal stattfinden, ist der Zeitpunkt gelegen, um die letzten zwölf Monate bis zum 30. Juni 2022 Revue passieren zu lassen. Wir schrecken nicht davor zurück, gegen die Geschäftsleitung und externe Berater wie ISS zu stimmen. In 80 Prozent aller Versammlungen von Unternehmen in unseren globalen Strategien wurde mindestens eine Gegenstimme gegen die Geschäftsleitung abgegeben. Bei unseren globalen Strategien waren insgesamt 13 Prozent aller Stimmen gegen die Geschäftsleitung und 8 Prozent gegen die Empfehlungen von ISS.
Bei einem Aktionärsbeschluss zu einem ökologischen oder sozialen Thema prüfen wir vor der Abstimmung die Relevanz dieses Themas und seine voraussichtlichen Auswirkungen. In unseren globalen Strategien kam es zu 44 ESG-Aktionärsbeschlüssen zu Themen wie Klimawandel, Vielfalt und Mitarbeiter- und Aktionärsrechte. Insgesamt haben wir in unseren Strategien in 64 Prozent der Fälle für ESG-Aktionärsbeschlüsse und in 64 Prozent der Fälle gegen die Geschäftsleitung gestimmt.
Außerdem gab es mehrere Beschlüsse zu Aktionärsrechten, wo wir beispielsweise für eine niedrigere Mindestanzahl stimmten, um eine Sondersitzung einzuberufen. Wir glauben, dass ein niedrigerer Schwellenwert die Rechte der Aktionäre stärken und dazu beitragen würde, wichtige Themen der Geschäftsleitung vorzulegen.
Neben den Beschlüssen spielt auch die Vorstandsvergütung seit jeher eine wichtige Rolle. Wir stimmten in unseren globalen Strategien in 41 Prozent der Fälle gegen Say-on-Pay-Beschlüsse der Geschäftsleitung. Ferner stimmten wir gegen Mitglieder des Vergütungsausschusses, um uns Gehör zu verschaffen, wenn wir seit längerem fruchtlos Bedenken zur Vergütung anmeldeten. Wir haben auch gegen Mitglieder des Nominierungsausschusses gestimmt, wenn wir Bedenken zur Vielfalt hatten. Insgesamt stimmten wir in den vergangenen zwölf Monaten gegen 15 Vorstandsmitglieder.
Risikohinweise
Es besteht keine Garantie, dass ein Portfolio sein Anlageziel erreichen wird. Portfolios sind Marktrisiken ausgesetzt, d. h. es besteht die Möglichkeit, dass der Marktwert der Wertpapiere im Portfolio zurückgeht. Marktwerte können sich aufgrund wirtschaftlicher und anderer Ereignisse (z. B. Naturkatastrophen, Gesundheitskrisen, Terrorismus, Konflikte und soziale Unruhen), die Märkte, Länder, Unternehmen oder Regierungen betreffen, täglich ändern. Der Zeitpunkt, die Dauer und mögliche negative Auswirkungen (z. B. Portfolio-Liquidität) von Ereignissen lassen sich nur schwer vorhersehen. Anleger können deshalb durch die Anlage in dieser Strategie Verluste verzeichnen. Anleger sollten beachten, dass diese Strategie bestimmten zusätzlichen Risiken ausgesetzt sein kann. Veränderungen der globalen Konjunktur, der Verbraucherausgaben, des Wettbewerbs, der demografischen Entwicklung, der Verbraucherpräferenzen, der gesetzlichen Regelungen und der Wirtschaftsbedingungen können sich auf globale Franchise-Unternehmen negativ auswirken und die Strategie stärker belasten als bei einer Investition der Strategie in eine größere Vielfalt von Unternehmen. Die Aktienkurse reagieren im Allgemeinen auch auf unternehmensspezifische Aktivitäten. Anlagen in ausländischen Märkten sind mit besonderen Risiken verbunden. Dazu zählen politische und wirtschaftliche Risiken sowie Währungs- und Marktrisiken. Die Aktien von Small- und Mid-Cap-Unternehmen weisen besondere Risiken wie begrenzte Produktlinien, Märkte und Finanzressourcen auf. Darüber hinaus sind sie einer stärkeren Marktvolatilität ausgesetzt als die Wertpapiere größerer, etablierter Unternehmen. Die Risiken einer Anlage in Schwellenländern übersteigen jene Risiken, die mit Investitionen in ausländischen Industrieländern einhergehen. Finanzderivate können Verluste unverhältnismäßig stark steigern und erhebliche Auswirkungen auf die Performance haben. Sie unterliegen möglicherweise auch Kontrahenten-, Liquiditäts-, Bewertungs-, Korrelations- und Marktrisiken. Illiquide Wertpapiere sind möglicherweise schwieriger zu verkaufen und zu bewerten als börsengehandelte Titel (Liquiditätsrisiko). Nicht diversifizierte Portfolios investieren oft in eine kleinere Zahl von Emittenten. Aus diesem Grund können Veränderungen der finanziellen Situation und des Marktwerts einzelner Emittenten zu einer höheren Volatilität führen. ESG-Strategien, die Impact-Investing- und/oder ESG-Faktoren berücksichtigen, können dazu führen, dass die relative Anlageperformance von anderen Strategien oder breiten Marktbenchmarks abweicht. Dies hängt davon ab, ob der Markt solche Sektoren oder Anlagen aktuell bevorzugt. Daher ist nicht gewährleistet, dass ESG-Strategien zu einer günstigeren Anlageperformance führen werden.
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Head of ESG Research
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Executive Director
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