Einblicke
Unbeirrte Kapitalvermehrung in Zeiten des Hypes
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Global Equity Observer
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Juli 31, 2023
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Juli 31, 2023
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Unbeirrte Kapitalvermehrung in Zeiten des Hypes |
Die globalen Aktienmärkte florierten in der ersten Hälfte des Jahres 2023, wobei der MSCI World Index eine Rendite von +15% in US-Dollar (USD) verzeichnete und nun mehr als ein Viertel über dem Tiefstand des dritten Quartals 2022 liegt. Wie schon bei der Abwertung im Jahr 2022 ist der Anstieg auf eine Neubewertung trotz stagnierender Gewinndaten zurückzuführen, wobei das Forward-KGV des MSCI World Index von einem 13,7-fachen auf das mittlerweile 17-fache anstieg.1
Auch auf Sektorebene gab es eine Umkehr des Jahres 2022, da der Markt von den wachstumsstärkeren Sektoren angeführt wurde, die im vergangenen Jahr noch unter Druck standen: Nicht-Basiskonsumgüter, Kommunikationsdienste und insbesondere Informationstechnologie, wobei die überschwängliche Euphorie rund um das Versprechen der generativen künstlichen Intelligenz (KI) den Mega-Caps im Technologiebereich nach einem schwierigen Jahr 2022 wieder neues Leben einhauchte. Im Juni kam es zu einer allgemeineren zyklischen Erholung, jedoch hatten bis Ende Mai die „glorreichen Sieben“ bzw. "MANAMAT"2, die nach Gewicht etwa ein Viertel des S&P 500 Index ausmachen, praktisch die gesamte Rendite des US-Index generiert, während die verbleibenden 493 Unternehmen insgesamt leicht rückläufig waren.3
Das Phänomen ChatGPT
Zutreffend ist, dass mit der KI ein neues Kapitel aufgeschlagen wurde. Die Fortschritte bei den Algorithmen und der Rechenleistung sowie die explosionsartige Zunahme der Datenmenge in den letzten Jahren haben eine neue Ära der generativen KI eingeläutet. Diese intelligenten großen Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs) basieren auf fortschrittlichen Algorithmen des maschinellen Lernens (ML) und werden auf Grundlage einer enormen Anzahl von Parametern trainiert. Sie analysieren die riesigen Datenmengen, mit denen sie gefüttert werden und lernen aus ihnen, um in Windeseile originale, menschenähnliche Inhalte zu erstellen. Seit Einführung des Chatbots ChatGPT von OpenAI gegen Ende letzten Jahres beschäftigt sich der Markt mit der Frage, wie die von der generativen KI einhergehenden Zugänglichkeitsfortschritte zu verstehen, umsetzen und bewerten sind.
Das Ungewöhnliche an der gegenwärtigen KI-Euphorie ist, dass es sich nicht um ein „Aha-Erlebnis“ handelt. Der Einsatz von generativer KI ist seit der Einführung von ChatGPT sprunghaft angestiegen. Unterdessen werden KI-Technologien im engeren Sinne wie ML und natürliche Sprachverarbeitung (NLP) bereits seit einigen Jahren verwendet. Die Gesichtserkennung nutzt beispielsweise ML-Algorithmen, um ein Smartphone zu entsperren. Digitale Sprachassistenten wie Siri und Alexa setzen auf KI, NLP und ML, um Befehle zu verstehen und eine Reihe von Aufgaben auszuführen. KI-Algorithmen finden im E-Commerce Verwendung, um personalisierte Einkaufsempfehlungen zu geben, in klinischen Studien, um die Entdeckung und Effizienz von Medikamenten zu verbessern, und auch in anderen Bereichen, um eine Vielzahl von Back-Office-Aufgaben zu automatisieren. Die allmähliche Verbesserung von Modellen auf der Grundlage von erlerntem Verhalten, das Aufkommen von Big Data sowie eine verbesserte Rechenleistung haben alle ihren Teil zur Einführung der generativen KI beigetragen.
Dennoch gab es in diesem Jahr zwei große Überraschungen. Bei der ersten handelt es sich um die rasche Akzeptanz bei den Verbrauchern. Im Jahr 2006 benötigte Twitter fast zwei Jahre, um eine Million Nutzer zu erreichen; 2010 brauchte Instagram zweieinhalb Monate; bei ChatGPT dauerte es nur fünf Tage. Zudem erreichte der Dienst 100 Millionen Nutzer in damals bahnbrechenden zwei Monaten. Es handelte sich um die wohl schnellste Akzeptanz einer Technologie in der Menschheitsgeschichte.4 Die zweite und wohl bedeutendere Überraschung sind die fehlenden Einstiegsbarrieren zur Ausführung von KI-Code. Die allgemeine Annahme, die wir bisher geteilt haben, war, dass große etablierte Unternehmen, die KI-Modelle entwickeln, aufgrund ihrer wirtschaftlichen „Burggräben“ (Wettbewerbsvorteile) in Form von Cloud-Expertise, Rechenleistung und riesigen geschützten Datenbeständen dominieren würden. Ganz zu schweigen davon, dass sie enorme Kapitalbeträge investiert haben , um ihre KI-Kompetenzen weiterzuentwickeln. Dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein. Neue groß angelegte und quelloffene Modelle (Open-Source), die auf leicht zugänglichen Anwendungsprogrammierschnittstellen (APIs) basieren, sind öffentlich zugänglich. Jeder, der über gute Programmierkenntnisse verfügt, kann somit die Datenarchitektur nach eigenen Spezifikationen anpassen und weiterverbreiten, ohne die immense Rechenleistung und den großen Speicherplatz zu benötigen, den es gewöhnlich für die Ausführung bedarf. Während dies aus Verbrauchersicht Vorteile hat (u. a. Zugang zu flexiblen KI-Modellen und das zu weitaus geringeren Kosten), sinkt für Unternehmen die Einstiegshürde für das Testen von Code auf eine Person mit einem Laptop. Der Burggraben scheint nicht in der KI-Technologie selbst zu bestehen, sondern eher in anderen Elementen des Geschäftsmodells, etwa was den Zugang zu geschützten Daten, den Kundenstamm oder die Fähigkeit angeht, Dienstleistungen in großem Umfang anzubieten.
Die Pioniere
Wie in früheren Technologiezyklen waren die ersten Gewinner des „KI-Goldrausches“ die Verkäufer von Spitzhacke und Schaufel, in diesem Falle die Halbleiterhersteller. Ein in Kalifornien ansässiger Chipdesigner, der eindeutig Marktführer im Bereich der Grafikprozessoren (GPUs) ist, welche die KI-Anwendungen antreiben, erklomm aufgrund seiner starken Zukunftsaussichten an einem Tag einen Börsenwert von beinahe 200 Mrd. USD. Zu den anderen offensichtlichen Profiteuren der ersten Stunde zählen die sogenannten „Hyperscaler“, d. h. die Anbieter von Cloud-Computing-Diensten. Diese bieten die Infrastruktur, welche für den Einsatz generativer KI, vor allem angesichts der großen Mengen an Speicherkapazität und Rechenleistung, erforderlich ist. Ein globales Technologie- und Softwareunternehmen, das wir im Portfolio halten, erklärte, dass es davon ausgeht, dass KI-bezogene Produkte das Azure-Wachstum ab dem nächsten Quartal um einen ganzen Prozentpunkt ankurbeln werden, mit einer aktuellen Umsatz-Run-Rate von etwa 600 Mio. USD. Eine weitere Kategorie betrifft Unternehmen, die ihren Kunden KI-Dienste anbieten, wie z. B. der multinationale Technologie-Mischkonzern, den wir besitzen und der sein KI-Tool „Bard“ in seine Suchmaschine integriert, obwohl dies einige Kostenbedenken auslöst. Ebenso bietet ein von uns gehaltenes globales Technologie- und Softwareunternehmen den „Copilot“ innerhalb seiner 365-Produktfamilie an, mit dem sich erste Entwürfe zur Bearbeitung in Word oder für einen schnelleren E-Mail-Versand erstellen lassen.
Identifizieren von Gelegenheiten…
Selbst wenn die Auswirkungen der KI noch nicht absehbar sind, stellen wir in diesem Bericht bereits unsere ersten Überlegungen im Hinblick auf unseren hochwertigen Anlageansatz und die von uns gehaltenen Aktien vor. Abgesehen von den technologiebasierten Anbietern der rudimentären Grundkomponenten weisen viele der von uns gehaltenen Unternehmen bereits ein gesundes Maß an KI-Exposure mit weiteren Möglichkeiten, vor allem in puncto Kostensenkung und Wertschöpfung, auf.
Berücksichtigung der Gefahren
Wir konzentrieren uns nicht nur darauf, wo die Chancen liegen, sondern auch auf die Frage, wie der Wandel den Unternehmen, in die wir investiert sind, schaden könnte. Wie immer machen wir uns mehr Sorgen um potenzielle Nachteile, als dass wir uns über mögliche Vorteile freuen.
Unbeirrte Kapitalvermehrung in Zeiten des Hypes
Ende 2021 waren wir sowohl hinsichtlich der Bewertungskennzahlen als auch der Unternehmensgewinne besorgt. Nach der Abwertung im Jahr 2022 nahmen unsere Bedenken hinsichtlich der Bewertungskennzahlen ab und wir sorgten uns schließlich nur noch um die Gewinne. In den letzten drei Quartalen traten beide Sorgen wieder auf den Plan: Das KGV des MSCI World Index ist wieder auf das 17-fache gestiegen, ein Niveau, das zwischen 2003 und 2019 nie erreicht wurde. Zudem ist diese Kennzahl für den Informationstechnologiesektor mit dem 27,4-fachen nun beunruhigend nahe den Höchstständen der COVID-Ära angesiedelt.6
Die erwarteten Gewinnspannen liegen immer noch nahe der Allzeithochs. Zudem wird erwartet, dass die Konsensgewinne in diesem Jahr voraussichtlich stagnieren, bevor sie bis 2024 um 10 % steigen, trotz aller Sorgen um eine mögliche Rezession. Die KGVs basieren derzeit also nicht auf niedrigen Gewinnen. Die US-Wirtschaft hat sich unterdessen als unerwartet robust erwiesen. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass die Arbeitsmärkte nach wie vor sehr angespannt sind. Dadurch lässt sich die Inflation künftig nur durch eine anhaltende Geldmengenverknappung senken. Wir sind der Ansicht, dass ein daraus resultierender Abschwung nicht in den heutigen Gewinnprognosen enthalten ist… und auch nicht in den aktuellen Bewertungskennzahlen. Wir sind weiterhin überzeugt, dass das globale Umfeld keine Symmetrie kennt, denn in schlechten Zeiten können die potenziellen Verluste weitaus schwerwiegender ausfallen als die Gewinne, die in guten Zeiten erzielt werden. Unserer Überzeugung nach werden Preismacht und wiederkehrende Erträge, zwei der wichtigsten Kriterien für eine Aufnahme in unsere Portfolios, erneut ihre Bedeutung unter Beweis stellen, wie das bislang stets in Wirtschaftsflauten der Fall war. Außerdem denken wir, dass der Markt in schwierigen Zeiten einmal mehr Unternehmen mit widerstandsfähigen Gewinnen den Vorzug geben wird.
Die generative KI befindet sich noch ganz am Anfang und ihre Auswirkungen sind noch nicht ganz abzusehen. Welche Branchen und Unternehmen werden florieren und welche Geschäftsmodelle werden überflüssig? Wie werden Beschäftigung, Bildung, Gesundheitsversorgung, Finanzen, Konsum und Politik in einer KI-Welt aussehen? Was bedeutet das Urheberrecht in einer maschinell generierten Welt? Wird die Regulierung schnell und vernünftig genug sein, um Rahmenbedingungen zu schaffen, ohne den Fortschritt zu behindern? Wessen Rat können wir vertrauen? Wessen Bild ist echt? Wird die Welt kleiner, schneller und noch stärker personalisiert? Nimmt die Ungleichheit zu? Und was wird aus der handwerklichen Kunst des nach Fundamentalanalysen investierenden Bottom-up-Portfoliomanagers?
Unser Team erforscht seit einiger Zeit neue Datensätze und entwickelt Automatisierungstools, um nach wertvollen Signalen aus Stimmungs- oder NLP-Analysen von Gewinnprognosen Ausschau zu halten. Wir haben in Sachen Innovation nach wie vor eine Vorreiterrolle inne und gleichzeitig eine lange Tradition in der Research-Exzellenz und der Managementbewertung. Wir halten noch an tiefgreifenden Analysen zur Nachhaltigkeit der Renditen auf das Betriebskapital, teambasierten Diskussionen, absolutem Risikomanagement oder menschlichem Urteilsvermögen fest. Wir vertrauen auf die Erfahrung unseres Teams und werden auch weiterhin Lösungen schaffen, Beziehungen aufbauen und uns bemühen, dabei immer besser zu werden. Wir haben keinerlei Absicht, menschliche Intelligenz bei der Verwaltung von Portfolios oder der Betreuung von Kunden in nächster Zeit durch irgendwelche Bots zu ersetzen – dafür sind uns die Ergebnisse und unsere Kunden zu wichtig.
Glossar
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Managing Director
International Equity Team
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Emma Broderick
Analyst
International Equity Team
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