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Abrechnung aufgeschoben
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Global Equity Observer
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Mai 08, 2023
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Mai 08, 2023
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Abrechnung aufgeschoben |
Es war ein starkes Quartal für die Märkte: Der MSCI World Index lag das ganze Quartal über im Plus und schloss nach einem Anstieg von 10% in Q4 2022 nun mit +8%. Der Markt wurde von den wachstumsstärkeren Sektoren angeführt, die im vergangenen Jahr noch unter Druck gestanden hatten: Informationstechnologie, Nicht-Basiskonsumgüter und Kommunikationsdienste.
Sogar Banken hielten sich trotz vereinzelter Pleiten recht gut und verloren im Quartal nur 4%. Die Quartalsperformance war auf eine Neubewertung zurückzuführen, da das Forward-Multiple der Gewinne um mehr als einen Punkt stieg während die Gewinnprognosen unverändert blieben.
Wo stehen wir damit heute? Der Markt erscheint derzeit mit einem Forward-Multiple von 16,2x (14% über dem Durchschnitt von 2003-2019) alles andere als günstig bewertet, wenngleich die Wahrnehmung durch die blasenähnlichen Multiples nahe 20x von 2020-21 verzerrt sein könnte. Darüber hinaus scheinen die Gewinne, die sich hinter diesem Multiple verbergen, und vor allem die Margen, nach wie vor hoch. Auf der Sell-Side geht man von einem bescheidenen Wachstum der Gewinne von 2% in 2023 und einer Rückkehr zu 10% Wachstum in 2024 aus. Die erwarteten Margen von 16,1% liegen immer noch innerhalb von 50 Basispunkten (Bp.) des Allzeithochs und 80 Bp. über dem Höchststand vor der Pandemie. Aufgrund dessen lässt sich kaum argumentieren, dass der Markt derzeit eine signifikante Konjunkturabschwächung einpreist, zumal diese hohen Gewinne mit einem soliden Multiple bewertet werden. Dies ist besorgniserregend, wenn man davon ausgeht, dass die derzeit robuste Wirtschaftslage unter Umständen nur vorübergehend anhalten könnte und die ökonomische Abrechnung möglicherweise nur aufgeschoben und nicht aufgehoben sein könnte.
Zutreffend ist, dass es in Q1 gute Wirtschaftsmeldungen gab, zumindest außerhalb des Bankensektors. China erholte sich nach dem Covid-19-Ausschlag im vierten Quartal 2022, während der warme Winter die Erdgaspreise in Europa milderte und der US-Konjunktur verhalf. Die 2023-Wachstumsprognosen des Bruttoinlandsproduktes (BIP) stiegen in den USA von 0,3% auf 1% und in Deutschland von -0,6% auf 0%. Selbst im Bankensektor scheint es, als ob der im März verzeichnete Schreck eingedämmt werden konnte, wenn auch auf Kosten des AT1-Marktes (Additional Tier 1 Anleihen) und der Kreditvergabe im US-Regionalbankensektor. Und 2023 ist keine Wiederholung von 2008: Die Banken sind besser kapitalisiert, liquider und, mit der möglichen Ausnahme von US-Banken mit einer Vermögensbasis von unter 250 Mrd. USD, auch besser reguliert.
Die Kehrseite der guten Nachrichten über die aktuelle Konjunktur ist, dass die Inflationsgefahr weiter besteht. Die Löhne steigen weiter an, zumindest auf nominaler Ebene, und die Unternehmen treiben die Preise weiter in die Höhe, um ihre Margen zu schützen. Der Druck auf die Warenpreise lässt unterdessen nach, bei einer Wareninflation von 0% im Februar in den USA durch die Erholung der physischen Wirtschaft von den pandemiebedingten Lieferkettendisruptionen. Dagegen stiegen die Preise im lohnabhängigeren Dienstleistungssektor um 7% an.
Trotz dieses anhaltenden Inflationsdrucks sind die Markterwartungen für die US-Zinssätze drastisch gesunken, wobei die Prognose für die US-Zinssätze im Dezember 2023 mit dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank innerhalb weniger Tage um 150 Bp. fiel. Die Anleihenpreise sind zwar volatil, lassen derzeit jedoch vermuten, dass die US-Zinsen im Laufe des Jahres sinken werden. Es ist möglich, dass dies durch eine sogenannte „immaculate disflation“, also eine makellose Disinflation, erfolgt, bei der die Inflation ohne wirtschaftlichen Schaden zurückgeht. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass man am Anleihenmarkt von einer starken Konjunkturabschwächung ausgeht, was eine Lockerung durch die US-Notenbank (Fed) erfordern würde. Ungeachtet dessen reagierte der Aktienmarkt sehr positiv auf die nachlassenden Zinserwartungen.
In der Tat gibt es Gründe für Pessimismus in Bezug auf die US-Wirtschaft im weiteren Jahresverlauf. Frühindikatoren wie die Kreditvergabestandards, die bereits vor den Problemen bei den regionalen Banken verschärft wurden, das geringe Vertrauen der Kleinunternehmen und das sinkende Konsumentenvertrauen mahnen zur Vorsicht. Die Zinssätze sind um beinahe 500 Bp. gestiegen, und einige der Auswirkungen kristallisieren sich erst mit Verzögerungen heraus. So ist zum Beispiel die Vergabe von Hypothekenkrediten sehr stark zurückgegangen. Die Baubeginne und die Beschäftigung im Baugewerbe wurden allerdings noch nicht in Mitleidenschaft gezogen. Laut einer Bloomberg-Umfrage sagen mittlerweile 65% der Volkswirte eine Rezession in den USA voraus, wenn auch im Allgemeinen keine schwere, und die Prognosen für das BIP-Wachstum in 2024 gehen zurück, während die Prognosen für 2023 steigen. Was die Unternehmensgewinne betrifft, so sieht es nach einer aufgeschobenen Abrechnung aus, aber einer Abrechnung nichtsdestotrotz.
Wir behaupten nicht, einen besonderen Einblick in die Geschehnisse dieses unvorhersehbaren Jahres zu haben, in dem sich führende Wirtschaftsexperten darüber streiten, ob die Fed zu viel oder zu wenig getan hat. Wir können aber mit einem gewissen Maß an Zuversicht sagen, dass der Aktienmarkt selbstgefällig wirkt und ein eher positives Szenario aus der Spanne potenzieller Ereignisse einpreist. Schließlich wird der Markt angesichts einer sehr möglichen oder gar wahrscheinlichen US-Rezession zu hohen Multiples nahe der Peak-Margen gehandelt. Darüber hinaus zeigen Aktien eine normale Volatilität, im Gegensatz zu dem derzeit sehr volatilen Anleihenmarkt.
Da die aktuell hohen Gewinne durchaus dem Risiko einer Konjunkturabschwächung ausgesetzt sind, würden wir argumentieren, dass Qualitätswerte einen relativ sicheren Hafen bieten. Wir glauben weiterhin, dass Unternehmen mit einer nachweislich langfristigen Erfolgsbilanz bei Preismacht und wiederkehrenden Erträgen im Falle eines Abschwungs resilienter sein dürften als der allgemeine Markt, und die Vergangenheit suggeriert, dass eine derartige Resilienz wahrscheinlich mit Outperformance belohnt wird. Der Marktrückgang in 2022 und die Erholung in 2023 waren bisher als Abwertungen und darauf folgende Teil-Aufwertungen zu charakterisieren bei etwa gleich gebliebenen Unternehmensgewinnen. Das bedeutet, dass Qualitätsunternehmen nicht in der Lage waren, sich zu differenzieren. Der wirkliche Test wird kommen, wenn die Gewinne im Markt fallen, wozu es eventuell im weiteren Jahresverlauf kommen wird, was Qualitätsunternehmen die Möglichkeit geben sollte zu glänzen.
Quelle für alle Gewinn- und Bewertungsdaten in diesem Bericht ist FactSet, Stand: März 2023.
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Managing Director
International Equity Team
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